Auf dem Gymnasium - Der schlesische Schriftsteller und Heimatdichter Paul Petras

Die Oder bei Grünberg / Schlesien
Polska wersja
Dr. Paul Petras
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Auf dem Gymnasium

Leben

Während der Schulzeit wird Paul Vollwaise - und schafft mit Glück und Fleiß den Weg zum Abiturium

Friedrich-Wilhelm-Schule, Grünberg


Im Alter von zehn Jahren soll Paul das Gymnasium von Grünberg besuchen und wird am 4. Juni 1871 vom Direktor Fritsche geprüft. Dieser diktiert ihm den Satz: Bei Kühnau gibt es viele Weinberge, die auch recht guten Wein haben. Dazu eine Rechenaufgabe. Paul besteht die Prüfung und wird in die Sexta der damaligen Realschule 1. Ordnung, der Friedrich-Wilhelm-Schule, dem späteren Realgymasium, aufgenommen.                                
Der erste Schultag ist einen Tag später am 5. Juni 1871. Für den 10jährigen Paul bedeutet der Schulweg einen täglichen Marsch von Kühnau nach Grünberg. Schulanfang im Sommer: 7 Uhr. Da auch nachmittags Schule ist, isst er bei einer Buchbinderswitwe, die in Grünberg einen Papierladen betreibt, zu Mittag. Mittwoch und Samstag - an diesen Tagen ist nachmittags keine Schule - marschiert er gleich nach Schulschluss nach Kühnau zurück. Oft zieht er Strümpfe und Stiefel aus und läuft barfuß durch den schönen weichen Sand.
 
Paul Petras bekommt am 23. Dezember 1871 bei der Weihnachtszensur im Realgymnasium in Anerkennung seines Fleißes und Wohlverhaltens eine Schulprämie in Form eines Reißzeugs. Der Vater unterschreibt "Mit Freude gelesen".

Durch Vermittlung des Klassenlehrers Decker erhält Paul mittags Freitische bei Witwe Loh, bei Kaufmann und Fabrikbesitzer Sommerfeld, am Mittwoch bei Schlossermeister Nierth, Donnerstag bei Kaufmann Abraham, Wo
llhändler in der Schulstraße. Dieser hat einen kranken Sohn - Nathan - den Paul nach der Schule unterrichtet. Bei Abraham konnte er viele illustrierte Zeitungen lesen: "Fliegende Blätter", "Leipziger Illustrierte", die "Gartenlaube" u.a.m. Am Freitag tafelt Paul bei der Hotelierswitwe Kolshorn und am Samstag zum 2. Mal bei Nierths. So ist der Schüler die ganze Woche mittags versorgt und braucht nicht nach Kühnau hin- und zurücklaufen.
 
Vater Eduard stirbt

Am 20. März 1872 stirbt sein Vater Eduard an Lungenentzündung. Paul kam gerade von Grünberg fröhlich aus der Schule und ging in die "Gute Stube" des Schulhauses Kühnau, wo der Vater hochfiebernd lag. Als der Sohn hereinkommt, sah der Vater ihn noch einmal an, atmet laut und stirbt. Er ruft die Mutter: "Mutter, komm schnell, der Vater stirbt." Vater Eduard wurde nur 38 Jahre alt und am 23. März 1872 in Kühnau beerdigt.
 
Wenige Tage später wird Paul als Klassenerster in die Quinta versetzt. Im Juli des Jahres 1872 zieht die Mutter mit Paul nach Grünberg und wohnen am Mühlberg, vor der Tür zwei alte Birnbäume, hinten im Hof Ställe und Mistgrube, in einem der Ställe ist die Ziege der Frau Petras untergebracht. Paul, der fünf Geschwister hat, besucht trotz der drückenden finanziellen Probleme der Mutter mit Erfolg weiter das Gymnasium. Bei der Weihnachtszensur 1873 bekommt er als Zweitbester eine weitere Prämie: "Das Buch der Entdeckungen".

Im Juli 1874 zieht die Witwe Petras wieder um und wohnt mit den Kindern in Grünberg "auf der Burg", wo Paul bei einer Familie nebenan Privatstunden in Französisch gibt. Dafür verdient er monatlich 8 Groschen, die er der Mutter gibt. Deren Schulden häufen sich wegen des geringen Witwengeldes. 1876 folgt der nächste Umzug, diesmal in Gutsches Haus in der Hintergasse 66. Anfang 1877 folgen Möbelpfändungen und Paul muss im Auftrag der verzweifelten Mutter gegen die verschiedenen Klagen intervenieren. Der Weingarten wird verkauft, so bleibt immerhin noch Geld für Lebensmittel und die Versorgung der Kinder.

Zur Untermiete bei Fräulein Rose Irmler

Paul wird trotz der ganzen belastenden Umstände als Viertbester von 23 Schülern in die Obersekunda versetzt. Seine Mutter zieht wegen der zahlreichen Gläubigerklagen zu ihrer Schwägerin, der Witwe Jähn (geb. Petras) nach Boyadel. Diese unterstützt die Witwe Petras, so dass sich die Lage der Familie langsam bessert. Paul bleibt in Grünberg, wo er als Untermieter zu Fräulein Rose Irmler in der Mittelgasse zieht. Im September 1877 leidet Paul an Herzschmerzen, Schwindel und Kopfschmerzen. Fräulein Rose behandelt ihn fürsorglich und kuriert ihn mit Magentropfen, Rizinusöl, Magenpflaster und Bullrichsalz. Doch Fräulein Rose kann die Entschuldigung für die Schule nicht unterschreiben, das erledigt Nachbar Warsow für sie.

Mutter Petras ist ernstlich erkrankt, Paul besucht sie oft in Sawade. Neben der Schule gibt er Nachhilfe-Unterricht, außerdem trägt er Kataloge und Zeitschriften aus, um den Lebensunterhalt halbwegs zu bestreiten. Am 25. November 1877 stirbt die Mutter im Alter von 37 Jahren. Das Begräbnis findet in Sawade statt. Paul gibt eine Todesanzeige im "Grünberger Wochenblatt" auf. Kosten 1 Mark. Ein Fremder aus Frankfurt/Main, der bei der Familie seines Freundes Richard Wennrich wohnt, erfährt von Pauls schwieriger Situation und schenkt ihm 3 Mark. Davon bezahlt er die Anzeige und kauft sich vom Rest des Geldes Handschuhe.

Da er ohne finanzielle Unterstützung ist, richtet Paul am 15. Dezember 1877 ein Gesuch an das Landratsamt mit der Bitte um Krieger Waisengeld (sein verstorbener Vater Eduard hatte am 70/71er Krieg gegen Frankreich teilgenommen und war schwer krank nach Hause zurückgekehrt). Schon 9 Tage später erhielt er das abgelehnte Gesuch wieder zurück mit dem Hinweis, dass er bereits über 15 Jahre alt sei. Aber Landrat von Klinkerström rät Paul zu einem Gesuch an den Kaiser - und will es selbst übergeben. Paul gibt neben der Schule weiter fleißig Nachhilfestunden und erhält immer wieder Unterstützung von verschiedenen Seiten - so bekommt er am 10. Februar 1878 vom Kreisrichter Glaszer 45 Mark.

Im Realgymnasium erntet er trotz der notwendigen Arbeit als Nachhilfe- und Privatlehrer gute Noten in mehreren Fächern. Eines Tages - es ist Mitte März 1878 - ruft ihn der Direktor zu sich: "Petras! Kommen Se doch mal schnell in meen Zimmer!" sagt der Direktor. "Sie haben 66 Mark zugeschickt erhalten. Ich habe Sie Ihnen zu übergeben." Pauls Gesuch war nicht an den Kaiser übergeben worden, es gelangte, nachdem es umgeändert wurde, an die "Kaiser-Wilhelm-Stiftung". Diese schickte "eine einmalige Unterstützung". Davon kaufte sich Paul für 4,70 Mark ein englisches Wörterbuch und führte sorgsam Buch über die weiteren Ausgaben.

Der fleißige Nachhilfe-Lehrer

Paul steigert in der folgenden Zeit erfolgreich die Zahl der Nachhilfestunden und kann sich so Miete, Verpflegung, Bekleidung und immer wieder die unterschiedlichste Literatur leisten. Ausgerechnet der Handwerker Peltner, der seine Mutter einst immer wieder mit Mahnungen und Klagedrohungen bedrängt hatte, lässt über Lehrer Decker anfragen, ob er wegen der Nachhilfe-Betreuung der beiden Söhne zu ihm ziehen will - bei freier Wohnung und Kost. Die Familie Peltner erweist sich fortan als Pauls neue Pflegefamilie. Paul verabschiedet sich von Fräulein Rose, die sich immer wieder fürsorglich um ihn gekümmert hat.

Ende September 1878 ist Schulschluss und Paul wird als 12. von 13 Unterprimaner. Allerdings die Anforderungen an den Schüler steigen und Paul erntet im Laufe des Jahres immer wieder schlechte Noten. Mitte April 1879 packt Paul nach öfteren Schul- und Herzproblemen die Absicht, vom Gymnasium abzugehen, um Gärtner zu werden! Aber er erfährt, dass die Gärnterlehranstalt in Potsdam "doch zu teuer" ist und gibt den Plan auf.

Ende August große Nervosität beim Unterprimaner Paul (wie in seinem Tagebuch nachzulesen ist): So betont am 25. 8. 1879 sein Lehrer, "der kleine Dr. Walther", dass Paul "nicht nach Oberprima kommen werde". Und der Direktor sagt auch noch entschuldigend: "Der Petras hat leider ein schwaches Gedächtnis." Bei einem Vergleich mit Schulfreund Kornatzki, der 0 Fehler, Paul aber 9 Fehler aufweist, "schreit der kleine Walther wiederum: Ja, wenn Sie die Versetzungsarbeit so machen, werde ich gewiss mein Veto einlegen!" Am folgenden Tag hält der Direktor Pauls "guten Aufsatz für 'unselbständig'! Ich soll ihm meine 'Quellen' nennen". Pauls Antwort: "Besitze keine." Bei Prof. Staupe fällt Paul "arg hinein". Denn er kann eine Mathematikformel nicht entwickeln. Am 30. August beginnen die Versetzungsarbeiten mit einer "großen Mathe-Arbeit - 23 Seiten lang".

Paul übt fleißig Englsch und übersetzt für die Schule Hamlet und in Französisch Mirabeau, in Latein Vergil. Gleichzeitig intensiviert er seine Literatur-Lektüre: Freytag, Lessing, Goethe (z.B. "Iphigenie", "Götz von Berlichingen") und büffelt mit Freund Mannigel noch "spät abends" - oder erarbeitet mit Kornatzki französische Aufgaben. Die Anstrengungen werden belohnt: Am 1. Oktober wird er bei der Herbstzensur 4. von 11 Unterprimanern. Aber er erntet trotz dieses Erfolges auch wieder "schlechte Nummern in Chemie, Französisch und Latein". Am 23. Oktober beginnt Paul mit dem freiwilligen Erlernen der Stenografie ("nach Stolze").

Versetzung nach Oberprima

Der Direktor des Realgymnasiums Grünberg fürchtet, dass sich Paul bei den Nachhilfestunden übernimmt. Paul in seinem Tagebuch: "Auf Befehl des Direktors gebe ich keine weiteren Stunden." Lediglich die Arbeitsstunden bei Peltners Söhnen ab 4 Uhr sind noch erlaubt. Dafür stürzt sich Paul in seine Studiertätigkeit. Seine Lektüre in den nächsten Wochen: Hippolyt von Euripides, Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre, die Italien-Reise und Blumenauers Aeneis. Er übersetzt weitere 100 Vergil-Verse und schreibt den englischen Aufsatz "Napoleon and the Englishmen".

Paul hält auch im neuen Jahr 1880 an seinem Fleiß fest und die schulischen Ansprüche wachsen. Aber er nimmt sich auch Zeit für regelmäßige Theaterbesuche oder für Konzerte. Am 24. März 1880 wird Paul allen früheren Unkenrufen aus dem Lehrerkollegium zum Trotz als Zweiter nach Oberprima versetzt!

In den Sommerferien wird Paul sogar als Hauslehrer für einen jungen Spross aus einer preußischen Adligenfamilie auf Schloss Günthersdorf engagiert. Er soll ihm vor allem in Mathematik und Geschichte auf die Sprünge helfen, damit dieser mit dem "Primanergenügend" zum Fähnrich-Examen zugelassen wird und damit in die Offiziers-Tradition der Familie eingeht. > s. a. Nachhilfe-Stunden für einen Adligen

Obwohl in den folgenden Monaten Pauls Eifer durch vielerlei Freizeit-Vergnügungen etwas geschmältert wird - er aber wieder seine Schwächen in Latein, Französisch oder Religion durch Nachholen ausgleichen kann - wird er am 22. Dezember 1880 zur Abiturprüfung im folgenden Jahr zugelassen.






Aus den Schul-Erinnerungen
von Paul Petras
(Das Gedicht ist Fräulein Rose gewidmet)
 
"Wo sind Sie in Pension jetzt?"
Hub der "Bull" mich an zu fragen.
Und ich sprach: "Bei Fräulein Irmler!"
"Fräulein? - Hm - das will was sagen!"
"Na, ich wer' Sie mal besuchen!
Haben doch ein eignes Zimmer?!"
"Nein, wir wohnen beid' zusammen. -"
"Hm - Hm! 's wird ja immer schlimmer!"
 
Ja, ich wohnte damals wirklich
Ohne Furcht und ohne Tadel
Bei 'ner Jungfer! - Denn die Mutter
War verzogen nach Boyadel.
In der Dachstub' vorn am Fenster
Nächtlich ich am Aufsatz baute,
Während Jungfer Rose Irmler
Fromm in ihr Gebetbuch schaute.
 
Einmal abends an dem Pulte
Einsam überm Aufsatz saß ich -
Rose schlief bereits und schnarchte -
Es war wundersam und spaßig! -
Horch! da stolpert auf der Treppe
Bis zu meiner stillen Wohnung
Ein Besucher - 's ist Matthäi - (Anm.: der "Bull")
Als Inspektor ohne Schonung.
 
"n Abend! - Na, Sie sind ja fleißig!
Ist Ihr Fräulein nicht zu Hause? - "
"Ja, sie schläft" - "Nanu?! - Ich seh doch
Niemand sonst in dieser Klause?"
Plötzlich sieht er bettversteckend
Eine Himmelbett-Gardine,
Zeigt drauf hin: "Hm, hm - wer schnarcht denn
Hinter diesem Baldachine?"

"Da ruht Fräulein Rose Irmler!"
Wagt ich schüchtern zu erwidern.
"Nach des Tages Last und Mühen
Gönnt sie Rast dort ihren Gliedern."
"Hm! Wie alt ist denn das Fräulein?"
Darauf ich: "So zehn mal sieben!"
"Na - dann guten Abend!" - spricht er -
"Da ist nischt mehr zum Verlieben."
 
"Doch mit ihrem Hauswirt möcht' ich
Gern ein ernstes Wörtchen sprechen -
Seine Trepp' hat kein Geländer!
Da kann man a Hals ja brechen!"
"An der Wand lang" stelzt' er brummig
Unsre steile Treppe nieder,
Mit der Lampe bot ich Licht ihm -
Und dann kam er niemals wieder.
---
An die ganz geländerlose
Treppe dacht ich oft mit Beben. -
Seltsam: Später kam wo anders
Er durch Treppensturz ums Leben.*
(*Anm.: In Seimerts Konditorei am Postplatz)


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